Heidi und ich sitzen in einem Mietwagen. Es ist Februar und wir kurven durch den wilden Osten Argentiniens. Zu unserer linken türmen sich die Anden auf mehrere tausend Meter Höhe. Rechts von uns breitet sich eine unendlich wirkende Einöde aus, die sich bis zum Horizont erstreckt. Wir fahren auf einer in der Karte als Hauptstraße markierten Schotterpiste mit Schlaglöchern, die der Größe eines Waschbeckens gleichen. Es ist Sommer auf der Südhalbkugel und die atemberaubende Natur lässt unser menschliches Dasein als lächerlich klein wirken. Wir sind seit zwei Wochen unterwegs, um dieses große Land kennenzulernen, die Luft zu atmen und die Kultur wie ein Schwamm aufzusaugen. Es ist Nachmittag und der Staub hinter unserem Fahrzeug breitet sich in die üppigen Wälder aus, weswegen die Bäume nicht mehr grün, sondern mit einer hellbraunen Dreckschicht bedeckt sind. Wir haben seit mehreren Stunden kein Auto gesehen. Lediglich ein paar Pferde, von welchen es hier zu Genüge gibt. In weiter Ferne erblicken wir plötzlich ein Mann mit einem Kind an der Hand, welcher uns mit großer Geste zuwinkt.

Aus unserem Reiseführer wissen wir, dass es hier wegen der großen Distanzen Gang und Gäbe ist, per Anhalter zu fahren, da viele kein Auto besitzen. Und dennoch ist in mir dieses eingebrannte Misstrauen. Sei es aus meiner Erziehung oder aus den unzähligen Horrorfilmen. „Sollen wir die mitnehmen?“ fragt Heidi. Auch wenn wir durch unsere unzähligen Fernreisen Vertrauen gelernt haben müssten, ist es immer wieder da. Diese Angst vor dem Fremden. Es lässt sich nicht abschalten. Wir entscheiden uns dennoch die beiden mitzunehmen. Natürlich sprechen sie kein Wort Englisch und ich versuche mit meinem rudimentären Spanisch Small Talk zu führen. Der strenge Geruch des Mannes lässt mich vermuten, dass er von der Arbeit kommt, bei der er seinen Sohn mit dabei hatte. Schmutzige Kleidung und sein zahnloses Lächeln machen ihn für meinen inneren Europäer nicht gerade vertrauenswürdiger, aber ich kämpfe weiter gegen meine Vorurteile. Als ich Ihm erzähle, dass wir aus Deutschland kommen, kann er seine Freude nicht mehr im Zaum halten und erzählt, dass seine Vorfahren Deutsche waren. Eine ganze halbe Stunde schwärmt der Mann von Deutschland und, wie kann es anders sein, vom deutschen Fußball. Wenn man mit einem Argentinier ins Gespräch kommen möchte, dann funktioniert Fußball übrigens immer. Plötzlich sagt der Mann mitten in der Pampa: „Stop.“ Wir sind etwas verwirrt, denn hier ist kein Haus, keine Bushaltestelle, rein gar nichts, nur Wald. Wir lassen die beiden aussteigen und der kleine Junge bedankt sich mit einem süßen „Muchas Gracias.“ Erst jetzt fällt mir ein, dass ich meine Kameraausrüstung die ganze Zeit auf dem Rücksitz hatte. Ich blicke sofort nach hinten. Alles noch da. 

Und wieder wird mir klar: Ich sollte öfters darauf vertrauen, dass es mehr Gutes im Menschen gibt, als Schlechtes und meine Vorurteile bei Seite legen. Und vielleicht weniger Horrorfilme schauen.