In letzter Zeit mache ich mir viele Gedanken über eine Zukunft, die ich mir so noch nie vorstellen wollte und konnte. Ich frage mich, was mit unserer Kultur passiert, wenn die Pandemie und die damit verbundenen Auflagen, ganz gleich, ob sie sinnvoll oder sinnlos sind, noch ein weiteres Jahr andauern werden. Natürlich bin ich als Musiker direkt konfrontiert mit Absagen diverser Veranstaltungen bis Ende Januar. Die meisten der Menschen, die mir diese traurige Botschaft überbringen müssen, sind dann noch mehr enttäuscht, wenn ich ihnen beinah abgebrüht erwidere: „Ich versteh das. Ich bin es mittlerweile schon gewohnt, ein Event abgesagt zu bekommen.“ Denn es vergeht keine Woche ohne eine Absage. Doch es muss weitergehen und es wird weitergehen. Wenn ich mich umschaue, möchte ich sogar sagen, dass durchaus viele neue Möglichkeiten erfunden werden, um weiterhin Live Musik einem Publikum zu präsentieren. Ein Musikverein lässt sich mit Traktoren durch ihr Dorf fahren und bespielt mit einer mobilen Bühne unterschiedliche Plätze, auf welchen das sitzende Publikum Corona-konform die Musiker feiert. Wäre diese Idee auch ohne Corona umgesetzt worden? 

Woche für Woche entdecke ich neue Formate, die sich dem Kampf für die Musik- und Theaterkultur annehmen. Ich möchte nicht einfach lapidare Floskeln unterstreichen wie: „Corona hat auch sein Gutes.“ Das ist zu einseitig und in Anbetracht der Menschen, die an diesem Virus sterben, absolut unangebracht. Ich möchte aber daran erinnern, dass Kulturschaffende schon immer eine Steh-Auf-Mentalität waren und sind. Und dass neue Kultur- und Kunstrichtungen oft in einer krisenartigen Umgebung oder Zeit entstanden und -davon bin ich überzeugt- wieder entstehen werden. Doch ist es nicht nur die Bühnenkultur, die meine Gedanken an das, was kommen wird, trübt. 

Was passiert mit den Festen, den Feiern, die unser kulturelles Leben stark prägen. Sommer- und Herbstfeste? Abgesagt. Vereinsfeiern und -konzerte? Abgesagt. Wir werden in Zukunft nicht mehr gemeinsam auf einer Bierbank sitzen, neue Menschen kennlernen, gemeinsam schunkeln und „Liebe kleine Schwarzwald Marie singen“. Es werden keine Festzelte mehr auf den Wiesen stehen, in welchen zwischenmenschliche Begegnungen ein wesentlicher Bestanteil unserer Kultur sind. Viele Freunde und Feinde habe ich kennenlernen dürfen bei solchen Festen. Auch der Besuch in einer Bar gehört zum Kulturleben. Früher ging ich oft alleine in eine Bar und wusste, dass ich bestimmt jemanden zum Reden finden werde. Wenn auch nur den Barkeeper, den ich jetzt durch eine Plexiglasscheibe anschreien muss. 

Und ich stelle mir die Frage, ob das der Beginn einer Kultur ist, die sich vom analogen nach und nach ins digitale Zeitalter bewegt. Werden wir in Zukunft eine virtuelle Begegnungskultur erleben, bei der wir über eine App miteinander anstoßen? Werden wir bald nur noch in Chats neue Bekanntschaften schließen? Werden wir Filme nicht mehr in den Kinos, sondern jeder für sich zu Hause wann er will anschauen? 

Und mir wird bewusst, dass wir schon lange vor der Pandemie begonnen haben, eine digitale Begegnungskultur zu akzeptieren. Die damals noch freiwillige Entscheidung auf echten, zwischenmenschlichen Kontakt zu verzichten, weil es bequemer schien, ist jetzt geradezu ein Muss und fühlt sich zumindest für mich sehr unbequem an. Deshalb hoffe ich, dass wir niemals vergessen, uns vor Augen zu führen, was für ein kultureller Schatz in der echten Begegnung verborgen ist.