Kindheitserinnerungen

 

Jedes Jahr gibt es einen Tag, an dem ich Heidi so richtig auf die Nerven gehen darf. Mein Geburtstag. An diesem Tag ist für mich fast Alles erlaubt. Doch das Schönste an meinem Geburtstag ist der Moment, an dem ich die Schuhkartons mit den alten Fotos aus den Tiefen meiner Kommode hervorhole. Schon fast wie eine Zeremonie öffne ich die in die Jahre gekommenen Pappkisten, breite die Fotos auf dem Tisch aus und beginne in meiner Vergangenheit zu schwelgen. Zu jedem Bild fällt mir entweder eine Geschichte ein oder ich schließe meine Augen und kann die Gerüche von damals noch in meiner Nase riechen. Vom Mohrenkopfwettessen über das Topfschlagen bis hin zu den ersten Teenieparties in der Garage, es gibt unzählige Erinnerungen, die mich trotz der Jahre immer noch zum Lachen bringen. Als Kinder waren wir doch noch so herrlich unwissend. Es gab da gewisse Wörter, die ich erst später so richtig begriff. Da gab es zum Beispiel das Spiel „Schnitzeljagd“. Ich fragte mich damals: „Wer legt da wem irgendwelche Schnitzel in den Wald? Sind die gekocht, roh oder noch tiefgefroren?“ Es dauerte auch eine ganze Weile, bis man mir mitteilte, dass in „Freudenhäusern“ nicht zwingend nur Witze erzählt werden. Bei jedem Luftballon Aufblasen hielt ich mir die Ohren zu und sagte zu meiner Oma ich hätte „Platzangst“. Irgendwo hatte ich dieses Wort aufgeschnappt und einfach wörtlich genommen. Dass es sich bei dem Satz „Alle Angaben sind wie immer ohne Gewähr.“ nicht um eine Schrotflinte handelte, wurde mir auch erst später klar. Ich dachte auch, dass die „Drogerie“ der einzige Ort sei, an dem man legal Drogen kaufen könne.

Die großen Mythen unserer Kindheit, wie gern denke ich daran zurück. Der Einfallsreichtum unserer Eltern war äußert kreativ und vor allem effektiv. Ich schaltete das Fernsehgerät sofort aus, wenn es wieder hieß: „Wenn du jetzt weiterguckst, kriegst du viereckige Augen.“ Mich würde es brennend interessieren, ob das heute bei den Kids noch funktioniert. Wir haben unseren Erziehungsberechtigen Alles abgenommen. Warum der weiße Rand der Wassermelone allerdings giftig sein soll, ist mir bis heute nicht klar. Wäre jeder verschluckte Kirschkern zu einem Baum gewachsen, dann wäre mein Magen eine ganze Kirschplantage gewesen. Wir haben es unseren Eltern aber trotzdem immer geglaubt. Wir haben zu den Älteren und Erwachsenen aufgeschaut, ihnen so einige Geschichten abgenommen und vertraut. „Von Cola bekommst du Läuse im Magen.“ Was für ein Blödsinn, aber es hat zumindest bei mir gewirkt, als der Onkel mir die Cola-Glasflasche abluchsen wollte. Wieviel Fantasie wir als Kinder noch hatten. Ich dachte immer, dass die Figuren in meinem Buch zu Leben beginnen, wenn ich es zuschlage und das Licht ausmache. Ich habe nach dem Bücherlesen dann immer auf die Indianer oder Cowboys im dunklen Zimmer gewartet. 

Wenn ich wieder die nächste Falte in meinem Gesicht entdecke, dann erinnere ich mich einfach daran, dass ich als kleiner Junge immer dachte, dass alte Menschen Falten bekommen, weil sie schrumpfen und ihre Haut dann zu groß für sie ist. Das hilft zwar nicht dagegen, es macht den Umgang mit dem Älterwerden aber um Einiges erträglicher und lustiger.

Vielleicht sollten wir Erwachsene öfters unsere Kindheitsfantasien ausgraben, um uns bewusst zu werden, dass das Leben aus Kinderaugen manchmal einfach nur schön sein kann. Und jetzt höre ich auf zu schreiben, denn ich habe beschlossen heute mal wieder in den Wald zu gehen, um das Dorf der Schlümpfe zu suchen und vielleicht endlich zu finden.