25. Mai 2019

Grenzenlos

 

Ich sitze auf dem Rücksitz des rotbraunen Mercedes E 200 die Mutter der Mittelklassen und blicke auf die Berge, die den malerischen Ort Como einrahmen. Es sind gefühlte 35 grad in diesem Wagen, doch spricht hier drinnen keiner von Klimawandel, geschweige denn von einer eingebauten Klimaanlage. Seit 3 Stunden haben wir uns schon 50 Meter Richtung Zoll-Duane steht bewegt. Es ist Sommer 1990 und wir fahren nach Italien in den Sommerurlaub. Seitdem ich denken kann fahren wir mit unserem Dachzelt nach Bella Italia. Und immer kurz vor der Grenze stellt meine Mutter die spannende Frage: „Hast du die Papiere dabei?“ Stille herrscht im Wagen, gefolgt von hektischer Sucherei. Ich genieß diesen Zustand etwa eine halbe Stunde lang. Dann nehme ich Mamas Handtasche mit den Ausweisen hinter dem Rücksitz hervor und reiche sie ihr. Nach 4 Stunden Stop and Go haben wir uns endlich zu dem schick gekleideten, italienischen Grenzbeamten vorgearbeitet. Papa streckt ihm mit einer Tafel Milka Schokolade die Papiere entgegen. Der Zollbeamte wünscht uns eine gute Reise und wir Reihen uns in den nächsten Stau an der Wechselstube ein.

Ich sitze mit vier Freunden in meinem gelben Opel Corsa, Dreitürer. Wir kämpfen uns mit gefühlten 20 PS über die Alpenlandschaft und die Pässe auf dem Heimweg vom Lago Maggiore. Sommer 2001. Im Gepäck stangenweise italienische Staatszigaretten. Vielleicht mehr als erlaubt, wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass ein gelber Opel Corsa mit Window-Color Blümchen verzierten Scheiben an der Schweizer Grenze bestimmt genauer begutachtet wird. Wir schwitzen, als der Grenzbeamten uns die Frage stellt: „Haben Sie Belustigungszigaretten dabei?“

Sommer 2018, ich fahre zur Taufe meines Patenkindes, mal wieder nach Italien. Mein Kombi randvoll mit Instrumenten, Fahrrädern, Kisten voller Geschenke, Lebensmitteln und Heidi. Auf der Strecke vom Schwarzwald bis in die Tiefen der Toskana treffen wir jedoch keinen einzigen Grenzbeamten. Im Gegenteil. Lediglich die Temperaturanzeige, die Oleanderbüsche und die Mautstellen lassen erahnen, dass wir bereits in Italien sind. Und auf einmal spüre ich das gute Gefühl, Europäer zu sein.

Obwohl ich mich gerne an alte Grenzgeschichten von früher erinnere, freue ich mich, dass wir Europäer daran arbeiten, grenzfrei zu bleiben. Zumindest physisch. In unserer Natur gibt es schließlich keine Mauern und Zäune. 

Wo Grenzen sind, haben Intoleranz und Nationalismus ihren Nährboden.

Wir halten beim ersten Autogrill, gönnen uns einen echten italienischen Cappuccino mit Cornetto und teilen unseren Gedanken: Wir sind stolz auf unser Europa, das immer weiter versucht eine Gemeinschaft zu werden. Fernab von Grenzen und Schwarz-Weiß-Denken. Denn Leben ist Veränderung und ständige Weiterentwicklung. Und daher wünsche ich mir für mein Europa, in dem ich lebe, dass es weiter daran arbeitet, Grenzen zu sprengen und ein natürliches miteinander entwickelt. Auch ich werde mithelfen, dass unser Kontinent noch bunter und lebenswerter wird, als er schon ist. Ich werfe meine Briefwahlunterlagen in den Briefkasten und auf einmal spüre ich wieder das gute Gefühl, Europäer zu sein.