Einmal im Jahr erlaubt mir Heidi den Besuch eines Flohmarktes. Das ist auch gut so, denn sonst würde unsere Wohnung aus allen Nähten platzen. In diesem Jahr ergatterte ich ein paar Inline Skates aus dem 90er Jahren, welche natürlich Kindheitserinnerungen in mir aufleben ließen. Neben diversen Prellungen und Brüchen erinnere ich mich noch gut an den autofreien Sonntag. An diesem Tag besuchte ich oft meinen Freund in der Wöschhalde und wir pesten mit unseren Inline Skates die Straßen rauf und runter. Am autofreien Sonntag, welcher meist am Ende eines Sommers lag, wurden die Straßen zu Spielplätzen und Treffpunkten für Jung und Alt. Man kam sich ein wenig vor, wie in Italien. Mit etwas Wehmut denke ich an diesen Tag zurück. 

So hat jede Generation ihre eigene Aktion für den Schutz unserer Umwelt. Heute zelebrieren wir die Earth Hour. Für eine Stunde erlischt das Licht der Welt. Erhellt werden soll der Gedanke an unseren Planeten, der unter unserem überdimensionalen Energieaufwand mehr und mehr leidet. Sinnvoll oder nicht, es ist ein Zeichen, das Heidi und ich gerne auf unsere ganz eigene Art zelebrieren. 

Endlich kommen die Unmengen an Stumpenkerzen, die sich bei jedem schwedischen Möbelhausbesuch in den Einkaufswagen verirren, zum Einsatz. Wir kochen uns etwas Feines, öffnen eine gute Flasche Rotwein und decken den Tisch, als wäre es unser erstes Date. Keine Musik, denn der Strom wird um 20:30 Uhr ausgeschaltet. Oft wird aus dieser Stunde eine ganze Nacht. Denn, wenn man sich langsam an die Stille und Dunkelheit gewöhnt hat, kommt es uns so vor, als wären wir in der Zeit zurückgereist. Wir fühlen uns wieder am Ursprung. Die Dunkelheit birgt gute Gespräche in sich. Jeder Satz, jedes Wort hat plötzlich einen Sinn. Kein Gefasel, kein Smalltalk. Wir reden über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Etwas, das wir in unserem stressigen Alltag oft ausblenden, sogar verdrängen. 

Am heutigen Samstag werden wir wieder in unserem dunklen Wohnzimmer sitzen. Doch in diesem Jahr wird es anders sein. Wir werden die ohnehin bewegenden Momente der letzten Wochen noch einmal genauer betrachten. Dabei werden die Worte Klopapier, Mehl und Desinfektionsmittel ersetzt durch Veränderung, Chancen und Neuanfang. Wir werden uns klar werden, dass die aktuelle Krise neue Strukturen pflanzen und neue Wege ebnen wird. Wir tauschen Angst gegen Hoffnung. Die Earth Hour wird zur Earth Night. Ruhe kehrt ein und unser Verstand wird uns in der Dunkelheit zeigen, dass keine Zeit für Hysterie oder Panik ist. Sondern für Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft. 

Die Earth Hour ist nicht nur ein Marketing Instrument für den Schutz unseres Planeten, es ist die Stunde der Wahrheit. Es ist der perfekte Zeitpunkt zu reflektieren. Und das geht in der ganzen Familie, welche gerade ohnehin für sich zu Hause sitzt. Denn vor allem Kinder und Jugendliche haben eine andere und vorurteilslose Meinung zum Thema Umweltschutz. 

Und vielleicht wird es Dir und mir dann klar: Die Erde hat sich in eine andere Richtung gedreht, als die unsere. Nun ist es Zeit für uns, sich wieder in ihre Richtung zu drehen. Und daher sollten wir nicht darüber nachdenken, wer wir sein wollen, sondern wer wir sind.