Mein Corona Tagebuch – Wurstgeschrei

 

Liebes Tagebuch, ich freue mich, dass ich endlich wieder Zeit habe, Dir zu schreiben. Seit einigen Wochen haben sich die Auflagen in unserem Land wieder etwas gelockert und ich bin seit Tagen dabei, die positiven Dinge dieser Pandemie, zu erörtern. Ich muss zugeben, dass mir die soziale Distanz ganz gut gefällt. Zum Beispiel atmet mir endlich keiner mehr in den Nacken an der Kasse im Supermarkt, wenn er es kaum erwarten kann, dieses Trenn-Dings-Bums auf das Band zu legen. Auch der Small Talk hält sich seit Corona in Grenzen. Wenn ich eine Person im Städtle treffe, die mir ein Gespräch auf´s Auge drücken will, niese ich einfach kurz in meine Armbeuge und wie von Zauberhand läuft sie mit einem kurzen „Hallo“ einfach weiter. Dadurch spare ich Unmengen an Zeit. Apropos Zeit. Liebes Tagebuch, hast Du auch das Gefühl, dass der Lockdown eine gewisse innere Ruhe in die Bevölkerung gebracht hat. Als ob wir den Moment des Nichtstuns gebraucht hätten. Endlich hatten wir alle Zeit für Dinge, die seit Jahren auf der Agenda verschimmelten. Ich habe noch nie so viele Menschen auf dem Wertstoffhof angetroffen, wie die letzten sechs Wochen. Die Baumärkte sind überfüllt gewesen. Und jetzt fährt unsere Maschinerie wieder hoch. Nicht langsam, sondern mit Volldampf. Als müssten wir Alles nachholen, was in der Lockdownphase auf der Strecke blieb. Denn wenn ich meine berufliche Situation aktuell genau betrachte, gebe ich gerade nicht 100 Prozent, sondern 180. Dir geht es bestimmt genauso, liebes Tagebuch. Seit Jahren lagst du verstaubt in der Ecke, weil niemand Zeit hatte, Dir seine Gedanken mitzuteilen. Uns ging es einfach zu gut, als ob wir unsere Probleme mit Dir teilen müssten. Und jetzt schreibe ich seit drei Monaten so viele Worte in Dich hinein, die mich beschäftigen. Ich hoffe Du kommst mit dieser Flut an Arbeit klar, denn das Letzte, was ich jetzt gebrauchen könnte, wäre, wenn du dich arbeitsunfähig wegen Burnout meldest. Liebes Tagebuch, trotz meiner Angst, in Überforderung zu versinken, möchte ich Dir zuletzt noch erzählen, dass der Besuch beim meinem Hausmetzger noch lustiger geworden ist, als vor Corona. Denn seit Wochen schreien sich hier die Fleischwarenfachverkäufer*innen und drei Kunden (mehr dürfen nicht in den Verkaufsraum) die Wurst aus dem Hals. Die Metzgerei war hinsichtlich der Corona-Verordnungen sehr genau und vorbildlich, indem sie von der Theke bis an die Decke eine Plexiglasscheiben montierten, die Keine Vire dieser Welt überwinden kann. Allerdings hat der Schall damit auch seine Probleme und so hängt an der Scheibe ein Zettel mit dem Satz: „Bitte sprechen sie lauter“. Und so habe ich, anstatt die Verkäuferin mit „300 g Rinderhüfte“ anzuschreien, mittlerweile einen  großgeschriebenen Einkaufszettel dabei, den ich an die Glasscheibe drücke. Corona macht erfinderisch.

Liebes Tagebuch, ich könnte Dir noch ganz viele lustige Corona Momente schreiben. Aber ich merke, dass auch Du Deine, beziehungsweise meine Eindrücke der letzten Wochen erst mal verarbeiten musst. Also gönne ich Dir jetzt ein bisschen Ruhe. Gute Nacht.