Wenn mir jemand heute die Frage stellen würde, was Mut ist, würde ich Ihm sagen: Eine ganze Folge „Germany´s Next Topmodel“ (nachfolgend: GNTM genannt) durchzuhalten und während der Werbepausen nicht umzuschalten. Generell muss ich gestehen, dass unser Fernseher nur selten an ist und wenn, dann schauen wir Netflix oder nutzen die GEZ Gebühren, mit welchen wir wunderbare Dokumentationen auf Arte oder 3Sat erleben dürfen. Denn irgendwie ist Free TV schauen wie Bild Zeitung lesen. 

Und trotzdem fasse ich meinen ganzen Mut zusammen, sitze Donnerstagabend mit Heidi vor den Flimmerkasten und beobachte die andere Heidi, Frau Klum, wie sie ihre überdimensionale Werbemaschine mit jungen Mädchen ölt, die alle „Germany´s next Top Model“ werden wollen. Außer der ätzenden Werbeunterbrechungen ist es in dieser Folge ein Typ, dem es sehr wichtig erscheint, als Profitänzer wahrgenommen zu werden. Ich frage mich, wo Heidi diese Protagonisten immer wieder ausgräbt, die der Sendung mehr schaden, als sie bereichern. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass kein richtiger Star sich noch die Schande geben möchte neben Heidi zu sitzen, geschweige denn dieses peinliche Format zu unterstützen. Ich muss gestehen, als Wolfgang Joop in Staffel 9 und 10 als Juror noch seinen Senf dazugeben durfte, konnte man GNTM wenigstens noch als Unterhaltungssendung durchgehen lassen. Doch jetzt schart Heidi Klum irgendwelche Nobodies um sich, deren Kommentare meinen Hals Minute für Minute weiter anschwellen lassen. 

„Ruhig brauner.“ Sage ich zu mir und mache uns in der Werbepause erst mal frisches Popcorn, das ist gut für die Nerven. 

Doch auch das macht es nicht erträglicher, denn die die schlechten Drehbücher und die Offensichtlichkeit, mit der die armen Mädels ihre vorgeschrieben Rollen spielen, sind schlimmer als „Big Brother“ und „Bauer sucht Frau“ zusammen. Ich merke, dass mein Mut heute auf eine harte Probe gestellt wird. Warum sucht sich die Redaktion denn keine professionellen Schauspielerinnen, die die Modelvilla mal richtig aufwühlen? Genügend Geld aus den Werbeeinahmen müsste doch vorhanden sein. Es sollte sowieso „Dauerwerbesendung“ als Wasserzeichen eingebettet werden, da es manchmal gar nicht so einfach ist, Show und Werbeblock zu unterscheiden. Denn eines der Mädels darf jetzt einen (wahrscheinlich) unbezahlten Modeljob für ein Haarfärbemittel machen, dessen Firmenname auffällig oft genannt wird.

Ich ertappe mich, wie anfange Popcorn auf die Kandidatinnen zu werfen. Bevor ich auch die Schüssel gegen den Fernseher werfe, schaltet Heidi ihn endlich aus. Ich gebe mich geschlagen, denn mein Mut ist wohl nicht so groß, wie ich es vermutet hatte. Langsam bekomme ich wieder eine normale Gesichtsfarbe. Ich denke an die jungen Teenies, die sich diesen Mist Woche für Woche reinziehen und somit ein völlig verzerrtes Weltbild vorgelebt bekommen. Und wieder ist es die Macht des Einzelnen, die unser Fernsehprogramm bestimmen könnte. Wenn keiner guckt, wird es auch keine weitere Staffel geben und der Intendant von Pro Sieben würde zu Heidi Klum endlich sagen: „Heute habe ich leider kein Foto für Dich.“