Dorfgespräche 2.0

20. Juli 2019

 

 

Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, wie in meiner Kindheit die neuesten Geschichten des Ortes verbreitet wurden. Da gab es das klassische Gartenzaun Gespräch am Samstagnachmittag, wo sich meine Mutter beim und unsere Nachbarin beim Blumenauszupfen und Pflanzen ganz entspannt, manchmal mit einem Gläschen Sekt, über die neuesten Skandale austauschten. Es wurden spannende Fragen geklärt wie: Hat unser alleinstehender Nachbar eine neue Bettgefährtin? Oder ist diese junge Frau, die jedes Wochenende kommt, nur seine Schwester? Gleichzeitig wurden die neuesten Angebote im Supermarkt ausgetauscht und über das Wetter diskutiert. Mein Vater begab und begibt sich noch heute für die neuesten Tratschereien zu seinem Samstagsstammtisch. Thematisch wettern die Herren jedoch bei Ihrem klassischen Pils lieber über die großen politischen Dinge, wie Dieselskandal, Rentenbetrugspolitik, Plastikmüll, Flüchtlingskrise oder andere Aufreißer, die sie aus der „Lügenpresse“ aufgeschnappt haben. Heute hat sich dazu ein neues Medium in den Vordergrund gedrängt: Die Facebook Gruppe. Dorfgespräch 2.0 nenne ich diese Art der Gerüchteküche, in der die Zutaten mir oft den Magen umdrehen. Hier werden fast minütlich Kommentare geschrieben. „Weiß einer was los ist weil ganze zeit Feuerwehr fahren und Hubschrauber höre?“ Abgesehen von der mangelhaften Rechtschreibung, die ohnehin ihre Wichtigkeit verloren hat bei den meisten Facebook Gruppen Autoren, frage ich mich, ob man nichts Sinnvolleres zu tun hat, als diese Fragen ins World Wide Web zu schmeißen. Es wird schon seinen Grund haben, dass diese Einsatzkräfte ihrer Arbeit nachgehen. Früher hätte man eben erst beim nächsten Gartenzaungespräch erfahren, was da los war. Und es hätte gereicht. Stattdessen steigt unsere Lust nach schnellster Information so weit an, dass wir es kaum erwarten können eine Antwort auf unsere Fragen zu bekommen. Neulich schrieb jemand: „Kann mir jemand einen guten Hausarzt empfehlen?“ Grundsätzlich keine dumme Idee, das in eine Gruppe mit vielen Mitgliedern zu schreiben. Doch bekam diese Person in wenigen Minuten anstelle von guten Tipps vor allem negative und rufschädigende Antworten, in dem Ärzte öffentlich an den Pranger gestellt wurden. Ich frage mich wie weit jemand denken kann, der seinen Fingerabdruck im Netz öffentlich hinterlässt und sich nicht bewusst ist, was er mit seinen Worten alles anrichtet. Haben wir verlernt vor dem Kommentieren nachzudenken? Ist uns immer noch nicht bewusst, dass alles, was wir im Netzt von uns geben öffentlich zugänglich ist und für immer gespeichert wird? Bei dem wievielten „Like“ haben wir unsere Intelligenz verloren? Wollen wir uns weiter zurück ins dunkle Mittelalter bewegen und virtuelle Steinigungen zulassen? Wenn sich jeder nur einem Moment Zeit zum Nachdenken nehmen würde, bevor er das Web mit seinen Kommentaren zumüllt, hätte wir jedenfalls mehr Substanz in unserem Dorfgesprächen 2.0 und vor allem Menschlichkeit. In diesem Sinne freue ich mich auf Eure Kommentare.